Auf seinen neuesten Bildern experimentiert Johannes Braig mit der Wirkung von Interferenzfarben. Es handelt sich um Farben, die ihre Farbigkeit je nach Blickrichtung des Betrachters auf das Bild verändern. Die dichte Malweise löst er zu Gunsten einer lockeren gestischen Verteilung der Farbelemente auf der Fläche auf. Mit den an Ornamente erinnernden Formen modelliert er, ähnlich einem Plastiker/Bildhauer, scheinbar Gesichter oder Figuren auf die Leinwände. Als Fundament bleiben die für ihn typischen monochromen Grundierungen erhalten, auf denen er das Bildgeschehen entwickelt.





reclining

… Ganz speziell waren es Henry Moore und seine modellierend weichen, sphärischen Formen, die den Künstler fasziniert hatten. Er wollte einen Weg finden, Henry Moores plastische Virtuosität in die eigene Malerei zu übertragen und so stets eine dritte Dimension, eine Verräumlichung mitzudenken. Und das alles ohne sich zentralperspektivischer Mittel zu bedienen, welche seit der Renaissance Raumillusionen auf konstruktive Weise erzeugen. So entstanden Linien- und Bänderverläufe aus opak bis transparent angelegtem Farbauftrag auf durchgehend in Schwarztönen gehaltenen, monochromen Grundierungen. Diese Schwarzgründe wirken wie Bühnen für das jeweils davorliegende Farbgeschehen.

Damit sind die subjektiven Raumkoodinaten definiert. Johannes Braig beginnt seine Werkserie reclining mit Schwarzweiß-Gemälden. Er verwendet dünnflüssigen und lasierend weißen Acryllack auf schwarzem Grund. Er geht offensichtlich intuitiv an die Umsetzung, ohne Plan und Vorzeichnung, aber mit einer inneren Vorstellung. Johannes Braigs Malerei hat mit ihren reduziert einfachen Formmotiven eine auffällig grafische Wirkung. Die Grafik jedoch verliert sich mehr und mehr hinter einem stark modellierenden Duktus. Trotzdem bleibt sie als Zeile, Spur oder Gerüst erhalten. Kreis und Oval, Quadrat und Rechteck werden zu Symbolen für Auge, Okular und Display. So scheint uns jedes Bild aus vielen Augen – blasig und submarin – anzusehen. Es möchte uns vermitteln, dass es als Porträt verstanden werden will.

Dass es tatsächlich Porträts sind, vor denen wir stehen, kann sich nur langsam erschließen, zu raffiniert sind sie angelegt. Dabei scheint der grobe Aufbau eines Gemäldes schnell klar zu sein. In frei geführten Zeilen und Rubriken organisiert Johannes Braig zunächst eine Art Leserichtung. In den meisten Fällen eine von links oben nach rechts unten. Diese freien, unscharfen Koordinaten dienen als Hilfskonstruktion, aus der so etwas wie Raster und Muster entstehen können. Es sind jedoch in der Hauptsache die Farben, welche die Raumverhältnisse organisieren. Es entstehen Bildareale, die an die Malerei von Künstlern wie etwa Wassily Kandinsky, Gustav Klimt, Claude Monet und James Ensor erinnern. Jugendstilartige bis expressionistische Zitate, die isolierbar sind und von Johannes Braig durchaus als Verbeugung vor den Vorbildern gedacht sind. Bei dieser Gemengelage könnte man auch gleich noch den Einfluss von Jean Dubuffet oder Raoul Dufy mitassoziieren.

Wer sich also die Optik der Kunst der Art brut, der Raw Art oder der sogenannten Outsider-Kunst vergegenwärtigt, kann, wenn es nötig sein sollte, den kunstgeschichtlichen Hintergrund der Malerei Johannes Braigs besser einordnen. Es geht in dieser Art Außenseiter-Kunst in erster Linie um ein unverstelltes Zugehen auf die Malerei. Das Ideal wäre eine Malerei ohne akademischen Ballast, wie es eine im besten Sinne kindlich-kreative Sicht hervorbringen kann. Dass in einem solchen Verständnis von Kunst vor allem auch Witz und Humor zum Zuge kommen können, beweist Johannes Braig mit seinem gesamten Werk. Er kann einen jederzeit subtil bis charmant an der Nase herum führen.

Aber lehnen wir uns – nach dem Motto der Ausstellung – wieder zurück: Das Assoziationsfeld von reclining ist im Deutschen etwas weiter gefasst als im Englischen. Damit lässt es sich gut spielen. Die Bedeutungen gehen vom antiken Liegesofa, der Kline (man denke an Klinik), über die Chaiselongue bis zum profanen Liegestuhl oder gleich zum Bett, ja, in letzter Konsequenz bis zum Sarg. Reclining lässt also generell an Ruhemöbel denken, auf denen sich bekleidete oder unbekleidete Personen in Präsenzplicht zurücklehnen, ausruhen oder possieren, um gemalt oder fotografiert zu werden. Eine Assoziationskette wäre etwa: liegen – lagern – ausruhen – passiv – wehrlos – tot …




Johannes Braig – reclining
Ausstellung Alte Kirche Mochenwangen
Auszug aus der Rede zur Eröffnung von Dr. Herbert Köhler [aica], Kunst- und Kulturpublizist
Bild ~ Form ~ Bild
Dorothee Schraube-Löffler/Johannes Braig











... Johannes Braig und Dorothee Schraube-Löffler stehen stellvertretend für zwei akademische Künstlerleben, in welchen die Kunst um der Kunst willen gemacht wird und in welchen keine Markt konforme Kunst produziert wird, sondern wo konzentriert, stetig und autonom gearbeitet wird. So hart der Kunstmarkt und der Künstlerstatus sind, sind sich doch beide einig, dass das Kunststudium gut und unverzichtbar war, „weil man intensiv geschult wird“, so Johannes Braig, der als Meisterschüler bei Leiko Ikemura an der Hochschule der Künste in Berlin seinen Abschluss machte.

„Baumeister hat uns immer vorgemacht, dass das Handwerkliche wichtig ist und das Formale.“, fügte Dorothee Schraube-Löffler hinzu, und ja, sie meint DEN Baumeister, bei dem sie Anfang der 1950er Jahre Malerei studiert hat. Im Baienfurter Wohnzimmer der Künstlerin hängt noch ein Webteppich aus der Akademiezeit, der die Kraft jener Jahre der aufbrechenden Moderne atmet. Eine Webarbeit sehen Sie auch in dieser Ausstellung, eine weitere Webarbeit aus dem Jahr 1987 hat sich der Biberacher Ausstellungsmacher Dr. Uwe Degreif bewusst in die die Ausstellung „Ins Licht gerückt – Künstlerinnen, Oberschwaben 20. Jahrhundert“ geholt, welche am vergangenen Freitagabend im Museum Biberach eröffnet wurde! Dorothee Schraube-Löffler war während ihres Studiums unmittelbar in die Stuttgarter Kunstszene der Nachkriegszeit involviert. Sie entdeckte die Moderne, und wie andere Junge hatte auch sie den Mut, nach vorne zu blicken und die -Ismen und den Muff der Vergangenheit  in die Schubladen zu verbannen. Diesem Webteppich lag im Übrigen ein gemaltes Bild zugrunde, das im Kurs von Willi Baumeister entstanden war. Der Professor erkannte sehr früh die Begabung Dorothee Löfflers im Umgang mit Stoffen und Material.

... Wenn nun Gold auf Schwarz trifft, wie in dieser Ausstellung im Dialog mit den Bildern von Johannes Braig, so verliert es etwas an seiner sakralen Würde und kitzelt Erinnerungen an die Sinnlichkeit von Wiener Jugendstil an. Vermutlich geht es nicht nur mir so, dass ich bei einzelnen Bildern von Johannes Braig an Gustav Klimt denken muss, dem Künstler, der Figur und Form grandios ineinander verschmelzen ließ. „Figur muss gedacht werden“, sagte Johannes Braig jüngst im Gespräch. Seither beschäftigt mich dieser Gedanke, denn genau das ist es wohl, was seine Kunst ausmacht, dass diese auf Reflexionen und intensiven Gedankenskizzen aufbaut, ergänzt durch ein profundes kunsthistorisches Wissen dieses Malers.

Johannes Braigs Markenzeichen ist u.a. der monochrome Raum, der keinen Kontext vorgibt, sondern dem Bildmotiv komplett und unangefochten die Bühne überlässt. In der neuen schwarzen Serie „reclining“, die seit 2018 zu wachsen beginnt, sehen wir Abstraktion mit malerischem Duktus, aufgelöste Strenge zugunsten freier Form. Eine fiktive Dreidimensionalität wird vom Maler gar nicht gesucht, sondern bei Braig bleibt die Scheibe eine Scheibe und will gar keine Kugel sein. Mit lasierend aufgetragenem Acryl und Acryl-Lack schafft der Künstler eine bezaubernde Transparenz und Semitransparenz in seinen neuen Bildern. Das bedeutet für die Wirkung dieser Kunstwerke, dass diese sehr flüchtig, durchaus poetisch und manchmal auch verspielt daherkommen. Braig mag die Prozesshaftigkeit, er lässt immer auch den Zufall einfließen, denn das sture Verharren in einem Status Quo ist ihm ein Graus.

Auch Dorothee Schraube-Löffler definiert sich ausschließlich über das kreative Tun. Auch sie lehnt ein „so ist das und so bleibt das“ rigoros ab, entwickelt ihr Werk ständig weiter und dreht unaufhörlich an ihren formalen und handwerklichen Stellschrauben. Sie lässt dem Zufall zwar insofern eine Chance, dass er ihr stets neues Material zuspielt, welches sie in ihre Kunstwerke einfließen lässt, aber in der Umsetzung und Finalisierung eines Werks ist die Künstlerin sehr präzise und kompromisslos mit sich und ihrem Tun.

Im Dialog Braig-Schraube-Löffler ist es die Braigsche Leichtigkeit und sein Faible für den oberschwäbischen Barock, der die protestantische Strenge in den Arbeiten von Schraube-Löffler aufbricht. Und dies ist auch gut so, insbesondere, wenn er in seiner „reclining“-Serie Körper andeutet und figurative Andeutungen ins Bild einbaut, die vereinzelt durchaus an vergessene Akte oder erotische Posen erinnern. So nimmt die Kunst Braigs die Erzählerperspektive in diesen Räumen ein, und lenkt unsere Aufmerksamkeit bewusst auch auf die Abstraktionen von Dorothee Schraube-Löffler. Wie vernünftig kann Sinnlichkeit sein und wie sinnlich die Vernunft? Gehen sich hier zwei Antipoden aus dem Weg oder bauen sie Brücken? Das können Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren selbst testen.

Gerne möchte ich Sie zum ästhetischen Selbstversuch einladen, indem Sie z.B. bei der Betrachtung dieser Ausstellung zunächst „eine Seite ihrs Blickfelds abdecken“, um nur eine künstlerische Position zu sehen, bevor sie sich dann im nächsten Schritt auf den Dialog einlassen. Sie werden überrascht sein, wie sich Ihre Wahrnehmung und Ihre Einstellung ändern werden. Genau darin liegt auch die Kraft dieser Doppel-Schau, dass hier nämlich keine bildliche Konkurrenz entsteht, sondern dass die Synergie eine Kraft entwickelt, die ich fast schon organisch nennen möchte. Bleiben wir noch kurz beim Selbstversuch. Stellen Sie sich diese Ausstellung wie einen Körper vor, einen lebendigen Organismus, der Geist und Verstand klug verbindet. Schnell spüren sie hier und heute, dass wir beides brauchen, die Vernunft und das Gefühl. ...

Rede zur Ausstellungseröffnung „Bild – Form – Bild“ von Andrea Dreher


Abstraktion begegnet Figuration No. 2

Dorothee Schraube-Löffler und Johannes Braig
Graf Zeppelin Haus, Friedrichshafen

... Der Titel der Ausstellung kündigt eine Begegnung von Abstraktion und Figuration an. Mir gefällt dieses Substantiv Begegnung, denn Begegnungen sind nicht geplant, sondern sie passieren. Begegnungen ereignen sich spontan, sie sind nicht verbindlich wie eine Verabredung und nicht so abrupt wie ein Aufeinanderstoßen. Eine Begegnung kann flüchtig, aber genauso nachhaltig sein. Wenn sich Kunstwerke zweier Menschen begegnen, so werden immaterielle Brücken gebaut, denn Begegnungen beflügeln und setzen neue Kräfte frei! ...

Braigs Bilder und Objekte leben von Farbe, ihre Bestimmung ist die subjektive Ausdrucksfarbe, mit dem Ziel, mittels Farbe möglichst große Autonomie für das Bild zu erzielen. Braigs Kunst entwickelte sich lange Jahre über die Farbe als Kompositionsprinzip, bis er eines Tages die Figur wieder entdeckte. Die Bilder des großen Francis Bacon waren mit ein Auslöser, dass Johannes Braig vor einigen Jahren den Mut fasste, Farbe und Figur miteinander zu verbinden. In seinem Archiv der „weiblichen Figur“ schlummerten zahllose Körper und schienen nur darauf gewartet zu haben, in imaginären Räumen ein malerisches Zuhause zu finden. Die Imagination dieser Räume erreichte Johannes Braig durch die konsequente Entscheidung für eine Hintergrundfarbe. ...

In seinen hier ausgestellten neuen Arbeiten blicken wir auf Köpfe, maskenhafte Fratzen, Grotesken, wir sehen stiere Blicke, glotzend gaffende Wesen, großformatig und durchaus irritierend. „Wenn ich vernünftig wäre, würde ich nur noch kleine Formate malen“, sagte er im Gespräch. Aber nein, er will nicht vernünftig sein, sondern fuhr nach Madrid in den Prado, stand vor opulenten Barock-Porträts und beschloss, auf diese malerischen Vorbilder in seiner ihm eigenen Bildsprache im selben Format zu reagieren. Diesen Adaptionen an barocke Bildnisse hat sich noch eine weitere Leidenschaft dazugesellt, nämlich Comics wie Southpark, American Dad, Zombies in Manhattan etc.. Johannes Braig erfindet in seinen Bildern Typen, deren Wesen sich uns Betrachtern nicht wirklich erschließen. Ist es Mensch, ist es Tier, ist es Symbol, oder sehen wir einfach nur „Opfer kaputter Dialoge“, so Johannes Braig. Denn sein Vorwurf an uns Zeitgenossen lautet, nicht mehr richtig sehen zu können, weswegen er seine Malerei auch als eine Art friedliche, aber durchaus subversive Waffe sieht, um gegen die Verrohung, Verdummung und Ästhetisierung dieser Welt proaktiv vorzugehen. ...

Auszug aus der Rede zur Ausstellungseröffnung von Andrea Dreher

INTRODUCTION ET ALLEGRO IX – Gerhard van der Grinten für Johannes Braig

            Wer aber soll hausen in jenen Welten, wenn sie bewohnt sein sollten?
            Sind wir oder sie die Herren des Alls?
            Johannes Kepler

Der Weltenraum ist eine ziemlich ausgedehnte Sache. Und wenn da oben irgendjemand existieren sollte, mit dem ein Austausch möglich wäre, oder auch nur wünschenswert, so hindert uns an der konkreten Umsetzung der betrübliche Umstand, dass wir immer noch nicht imstande sind, uns mit WARP 4 durchs All zu bewegen, ja dass wir vermutlich nicht einmal in die Nähe der Lichtgeschwindigkeit reichen werden, was zwar rein theoretisch den Abflug in die unendlichen Weiten, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat, ermöglicht, aber niemals ein Ankommen. Übrigens hätten Aliens, so sie es denn geben sollte, dasselbe Problem. Was dann die Frage, wie man mit eventuellen Kontakten umzugehen hätte, zu einem gewissermaßen akademischen Problem geraten lässt. Und wie überhaupt kommunizieren? Nehmen wir an, die außerirdische Zivilisation ist so winzig, dass der erste Astronaut, der einen Fuß auf den fremden Planeten setzt, drauftritt; Oder sie äußert sich als intelligenter Sand – stürmt der dann?; Oder sie hätte, infolge beschleunigten Stoffwechsels, die Epochenspanne eines Eintagsfliegenlebenslaufes und wäre für uns mit einem Wimpernschlag vorbei. Oder, gesetzt einen freundlichen Fall, die Fremden wollten mit uns herzlich schwadronieren, täten dies aber in Form von Mikrowellen: dann wären wir tüchtig durchgegart, ehe wir auch nur die Begrüßungsformel mitbekommen hätten. Von subtileren interkulturellen Unterschieden und fatalen Mißverständnissen einmal gar nicht erst zu reden. Denn was wir da finden könnten, wird ja nun einmal ganz gewiß nicht so aussehen oder sich aufführen, wie, sagen wir, Catrop-Rauxel.

Als Herbert George Wells sich für den epochemachenden Roman Krieg der Welten als erster seine marsianischen Invasoren vorstellte, gab er ihnen die Gestalt einer besonders intelligenten und ziemlich unterschätzten irdischen Lebensform, Tintenfischen, und die Mentalität von Hard-Core-Kolonisatoren des Britischen Empires: Einmarschieren und Ausplündern bei gleichzeitigem völligen Fehlen von Empathie für die einheimischen Lebensformen und totalem Desinteresse an Diplomatie. Das war 1898 und die schneidende Sozialkritik des Wissenschaftsjournalisten Wells ganz offensichtlich. Gleichzeitig aber hat er auch das grundsätzliche Dilemma der außerirdischen Begegnung aufgespannt: wie nämlich soll der Fremde aussehen, wenn er nicht Gliedmaßen und Gesicht hat, Gestik, Mimik,  sondern stattdessen meinetwegen Szoork und Fnac, wenn er nicht an uns selbst erinnert, oder wenigstens an irgendetwas, was wir kennen, etwas, in das wir uns hineinversetzen können, sondern eventuell an eine statische Piet-Mondrian-Komposition. Und deswegen sind auch Hollywoods Weltraummonster in aller Regel humanoid und ganz ganz selten eine enorme Portion Götterspeise, oder etwas in dieser Richtung.

Dass also den Außerirdischen von Johannes Braig die Ähnlichkeit zu ihren Betrachtern eignet, hat  seinen Grund nicht nur notwendigerweise in der Natur der Sache, sondern vielmehr dem Umstand, dass sie ja ganz bewusst auf ein Kommunizieren angelegt sind. Nicht, dass sie nicht wirklich fremd genug wirkten. Auch, weil sie sich den Konventionen gängiger Schönheitsideale ganz bewusst verweigerten. Oder sie lustvoll deformierten. Aber ebenso unzweifelhaft nehmen sie Kontakt auf, nicht selten durch den Blick. Ein folgendes Augenpaar, wie es die Malerei der Renaissance für sich kultiviert hatte. Gelegentlich durch das geschlossene Visier eines Helmes. Bei dem man nicht ganz sicher sein kann, ob er nicht irgendwo nonchalant in den Körper übergeht. Und wenn das eine oder andere genuin weibliche Alien wie Madame Récamier auf die Chaiselongue hingegossen scheint, dann mag man erst auf den zweiten oder dritten Blick verwundert feststellen, dass einem die Menge zusätzlicher Glieder, Fühler, Sensoren und Tentakel eben doch gar nicht so störend erscheint, wie wenn man sich zunächst auf ihre Anwesenheit konzentriert hätte.

Was nicht heißt, dass diese Wesen alle nicht doch sehr fremdartige wären. Manche sind fast skelettiert, bei anderen bildet eine Amplitude, ein Pulsieren von Linien die Gestalt. In denen Farbe dann genüssliche Akzente setzt. Überhaupt scheinen sie ja zwar ihren Ausgangspunkt in beständigen zeichnerischen Versuchen, Notaten, skizzenhaften Untersuchungen zu haben, schaffen dann aber spielend auch den Sprung auf die Leinwand und die lebensgroßen Dimensionen. Und was im Malerischen ganz bewusst zeichnerisch bleibt, linearbetont, Kontur, funktioniert dann doch erstaunlicherweise nicht weniger als Farbenraum. Den man gelegentlich wahlweise durchaus mit bengalisch oder geradezu unverschämt farbenfroh bezeichnen darf. Die Einwohner dieser Bilderwelten wirken fast wie ein Atlas von Erscheinungsformen, Varianten, Unterarten. Überaus bizarr, zuweilen befremdlich, manche spukhaft bis in die Groteske. Aber allesamt von einem überschäumenden funkelnden Humor.

25./26.XI.2017 Gerhard van der Grinten
Johannes Braig – On the Way to Outer Space

Ausstellung in der Kleinen Galerie Bad Waldsee
Eröffnung: 12. März 2017, 11 Uhr
Ausstellung von 12. März bis 23. April 2017

www.bad-waldsee.de
 
… On the Way to Outer Space, Unterwegs im Weltraum, hat Johannes Braig seine Ausstellung betitelt. Der Künstler zeigt einen Querschnitt durch seine aktuelle Werkgruppe von Porträts, die einer Spezies gewidmet ist, die seit jeher unsere Fantasien beschäftigt, unsere Vermutungen einlöst oder wenigstens bekräftigt und die einer unserer größten Sehnsüchte eine Form geben könnte: Die Versicherung, dass wir – die Menschheit – mit unserem Raumschiff Erde nicht allein unterwegs sind in den Weiten des Alls, sondern durchaus Kumpel treffen können, die eben nicht von hier sind. Allein die quälende Frage: sind es wohlgesonnene oder sind es übelwollende hält uns auf Trab, treibt uns in Spekulation, Fantasy und Science Fiction.

Johannes Braig hat die Frage für sich geklärt und stellt uns seine Aliens als Typen wie Du und Ich vor. Seine Aliens unterscheiden sich also gar nicht so sehr von den uns bekannten Lebensformen auf dem Heimatplaneten, zumindest nicht so gravierend wie früher, zu Marsmännchenzeiten, immer angenommen. Sicher, die Formen der Braigschen Außerirdischen wirken manchmal wie durch den Wolf gedreht, ja, verstreckt wie durch die Verzerrungsfilter eines Francis Bacon gesehen und die Farben grell und bunt. Und manche Aliens könnten geradezu Nachbarn sein. Manche könnten – je nachdem in welchem Zustand man gerade durch die Welt geht – sogar als eigenes Spiegelbild durchgehen, etwa nach einer durchfeierten Nacht oder nach groben Schnitzern der kosmetischen Chirurgie, etwa wenn aus einer Nasenkorrektur versehentlich eine Nasenamputation geworden ist.
 

Johannes Braigs Aliens menscheln also sehr. Das aber macht sie dann auch so unwiderstehlich, so vertraut, so sympathisch. Auf jeden Fall erscheinen uns diese Aliens nie so ganz fremd. Und so könnte man durchaus vermuten, dass sie längst unter uns sind, sich assimiliert haben, mit uns kommunizieren. … 

Auszug aus der Eröffnungsrede von Dr. Herbert Köhler [aica], Kunst- und Kulturpublizist




FORM & SPIEL

Dorothee Schraube-Löffler und Johannes Braig
Ausstellung in der Stadtgalerie Sundern








Fotos: Niklas Thiemann

Vernissage: Sonntag, 28. Juni 2015 um 11 Uhr
Einführung: Anne Knapstein, Kuratorin
29. Juni bis 1. August 2015

Stadtgalerie Sundern • Röhre 4 • 59846 Sundern
e-mail: kunsthaus-knapstein@gmx.de


Auszug aus der Eröffnungsrede von Andrea Dreher in Erolzheim














… Doch was ist, wenn Sehnsucht und Wirklichkeit aufeinander treffen, wie in den jüngeren Arbeiten dieser Ausstellung geschehen. Stellvertretend hierfür sei das Titelmotiv „Der Kunde ist König“ genannt?
 
Ein Auslöser für diese neue Werkserie waren die großformatigen Porträtfotos des deutschen Fotokünstlers Thomas Ruff und dessen passbildhafte Riesenaufnahmen von über zwei Metern Höhe. Charakteristisch für Ruffs Fotoarbeiten sind die Frontalsicht, fehlende Schatten und höchste Detailschärfe. Ruff erstellt Fotos wie Fahndungsbilder. Nichts bleibt dem Betrachter verborgen, keine Pore, kein Pickel. Ruff nutzt keine Weichzeichner, er verschönt nichts. Diese Einstellung teilt er mit Johannes Braig, der uns seit Jahren regelmäßig den imaginären Spiegel vors Gesicht hält. Komplementär zu seinen Sehnsuchtsbildern entstanden diese Bilder von Köpfen, deren expressive Mimik gnadenlos radikal ist.
 
Begegnen wir einem Menschen, so stellt sich neben der Frage nach der Wirklichkeit im Bild stets die Frage nach der Illusionswirkung unseres eigenen Blicks: Was gaukeln wir uns vor, wenn wir Menschen „auf den ersten Blick“ beurteilen? Sehen wir die Realität? Oder eher das, was wir sehen wollen?
 
Braigs großformatige Köpfe sind eine dezidierte Abkehr vom linearen Stil und eine Hinwendung zum malerischen Stil. Die Linie hat als Ordnungselement ihre Funktion an die Farbe abgegeben, mehr noch, die Farbe besetzt nicht mehr nur die Bildfläche, sondern sie springt dem Auge des Betrachters förmlich entgegen. In den Kopf-Bildern herrscht eine objekthafte Präsenz der Farbe vor. Die Leinwände sind teils plastisch ausgearbeitet und der starke Duktus des Künstlers zeugt von einer klaren Verortung dieser Bilder im Hier und Jetzt.
 
Kann die titelgebende Hommage an den Rokoko auch in diesen Kopf-Bildern greifen, bei denen es um klare Ansagen zu gehen scheint? Ja, denn in der Kunst des Rokoko stand nicht nur das Spiel mit Dekoration und Kulisse im Vordergrund, sondern im Rokoko wurde auf größtmögliche Bildwirkung Wert gelegt.
 
In ihrer Wirkung sind diese Köpfe nicht minder stark als die schemenhaften Figurationen. Ähnlich wie die Figuren entziehen sich auch die Köpfe einer eindeutigen Lesbarkeit im Bild. Diese Gesichter offenbaren ein Stück Wirklichkeit, sie sind entschieden subjektiv, radikal ehrlich, aber zugleich expressive Malerei und kein Fotorealismus. Als ihr Gegenüber werden wir Betrachter in andere Gedankenräume katapultiert, ohne diesen Prozess rational und bewusst steuern zu können. …
Andrea Dreher M.A.
Sind Künstler Sinngeneratoren?

Ausstellung bei Oberwelt e.V.
Reinsburgstrasse 93, Stuttgart

www.oberwelt.de 



Ich habe nie behauptet, dass Sie das nicht auch können! Aber warum sollten Sie es tun?

In Johannes Braigs Textbildern kommt eine tiefe Verunsicherung gegenüber dem eigenen künstlerischen Tun und den von der Gesellschaft aufgestellten Kunstparametern zum Vorschein. Sie stellen eine visualisierte Reflexion des Künstlers dar, die den Betrachter auf den ersten Blick an selbstgemachte Schilder erinnern, wie sie manchmal an einer Hofdurchfahrt auf dem Land zu finden sind.

Ein Schild gibt einen Hinweis oder eine Warnung. Auf jeden Fall übermittelt es an den Schauenden eine Information. Der moderne Mensch bewegt sich täglich in einem großen Schilderwald, der ihm in komprimierter Form den Weg zu seinen Bedürfnissen weist. Johannes Braig fügt diesen Zeichen seinen persönlichen Schilderwald hinzu. Buchstaben von selbstgemachten Schablonen übertragen, akribisch von Hand ausgemalt, manchmal mit farbigem Übermut überschüttet, geben tiefgründig banalisierte Weisheiten der künstlerischen „Aktivitätsmaschinerie“ bekannt.

Die bildende Kunst birgt die großen Geheimnisse unseres bildlichen Erbes. Der Künstler beschaut die großen Taten seiner Vorfahren und je länger er das tut, desto fraglicher wird, wie sein Beitrag zu diesem Erbe aussehen kann. Johannes Braig reagiert auf seine Weise: Selbstbefragungen auf Leinwand und Holzbrettern, die vom Kunsteifer befreien sollen, dann aber direkt in die Kunst zurückführen.

So wird aus der Reflexion über Kunst direkt wieder Kunst. Gedankenrecycling in eherne Kunstform gegossen, die auf die Ewigkeit hofft.

… Alle geistige Tat ist ein Halt-Suchen vor der unfaßbaren, allem Denken ewig entgleitenden Fragwürdigkeit des Lebens: ein Halt-Suchen durch die schöpferische Gestaltung im Glauben religiöser Ergriffenheit, im Wissen rationaler Erkenntnis, in reiner Anschauung künstlerischer Formung. …
Dagobert Frey, Kunstwissenschaftliche Grundfragen
Nirgendland

In der Wort-Nuss-Schale U-TOPOS, Utopia, liegt neben "Nirgendland" die Einflüsterung einer genaueren Topographie. Deshalb durchbrachen die alten Erdichter von Harmoniestaaten die Schallmauer der unvollkommenen Wirklichkeit und verpflanzten ihre Utopien auf Inseln, Sonne, Mond und Sterne. Denn irgendwo muss Nirgendwo doch sein, Landkarten mußte es dort so zuverlässig geben wie Berichte und Gemälde. Exakt liegt Utopia im Schnittpunkt des verlorenen Paradieses, des Goldenen Zeitalters, der Insel der Seeligen und der machbaren Wohlstandsreiche. …
(Eugen Skasa-Weiß)
Nie mandsl and

Katalog
(No Man’s Land –Terrain neutre)

Texte: Andrea Dreher, Gerhard van der Grinten
Text: deutsch/englisch/französisch
128 Seiten mit 85 farbigen Abbildungen
23 x 27 cm. Leinen mit Schutzumschlag

Ernst Wasmuth Verlag GmbH & Co. Tübingen • Berlin
ISBN: 978 3 8030 3346 8

Preis: 24.80 € inkl. MwSt. zzgl. Versand

Hemmungslos entleert Johannes Braig Farbtöpfe auf Leinwände, tiefgründig banalisiert er Weisheiten der „Aktivitätsmaschinerie“ des Kunstbetriebs. Zudem schafft er eine ästhetisierende Figuration, in der er sich bewusst an das oberschwäbische Barock anlehnt.
Was auf den ersten Blick als nicht zu vereinender Gegensatz erscheint, verbindet sich bei ihm zu einer spannungsreichen Symbiose. Das Buch Niemandsland zeigt einen Überblick seiner künstlerischen Arbeit der letzten zehn Jahren.